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Die Geschichte eines Brillenputztuchs

  • Heidi
  • 5. Feb. 2017
  • 5 Min. Lesezeit

Hallo Leute!

Es war einmal ein Brillenputztuch. Es bestand aus hellblauem Mikrofaser und kam in einer unscheinbaren Pappe-Verpackung daher. Eines schönen Tages, im Dezember eines längst vergangenen Jahres, hatte ich es in einem der 24 Türchen des Adventskalenders, den Die Beste Freundin von Allen und ich uns immer gegenseitig schenken.


Es war ein sehr nützliches Geschenk, da man als Brillenträger doch häufiger mal in die Situation kommt, ein solches Brillenputztuch benutzen zu müssen. Jedenfalls was mich betrifft. Und dank der guten Qualität der Mikrofaser funktionierte das neue Brillenputztuch auch ganz hervorragend. Und so trug ich es immer bei mir. Meistens jedenfalls. Bei diversen Handtaschenwechseln (die Frauen unter uns wissen was ich meine) konnte es schon mal in der einen oder anderen vergessen werden, aber insgesamt war es mir ein treuer Begleiter. Die Pappe-Verpackung war inzwischen schon etwas abgegriffen und so hatte ich sie liebevoll mit Tesa wieder so hergerichtet, dass mein Brillenputztuch weiterhin gut geschützt darin aufbewahrt werden konnte. Was ich damit sagen will: ich hing wirklich sehr an ihm.


Bis es eines Tages verschwunden war. Nun ist das bei mir erst mal nichts Außergewöhnliches. Ich bin die absolute Meisterin im Verlegen, Vergessen, Verlieren, Versaubeuteln und so fast allem, dem man ein "Ver-" vorsetzen kann. In den meisten Fällen findet sich alles wieder - in der Regel, wenn ich aufgehört habe, danach zu suchen, oder wenn Die Beste Freundin von Allen eine Eingebung hatte, wo es zu finden ist. (Sie hat dieses spezielle Talent...). Das Brillentuch aber, blieb verschwunden.


Ich war sehr verzweifelt und betrauerte den Verlust sehr. Überall wo ich es vermuten würde und auch da, wo ich es eigentlich nicht vermuten würde, suchte ich. Ohne Erfolg. Einige Zeit ging ins Land, und irgendwann kaufte ich mir schweren Herzens ein neues Brillenputztuch. Und kam mir fast wie ein Verräter vor. Die Beste Freundin von Allen hatte sogar schon versucht, ein neues zu besorgen, wusste aber so recht nicht mehr, wo sie das alte mal her hatte und so war auch dieser Versuch gescheitert.


Es war zu einer Zeit, in der ich fast schon nicht mehr dran dachte, als ich es wiederfand. In einer Tasche, die ich nur sehr selten benutze. So selten, dass sie in irgend einer hinteren Ecke gelegen hatte, weshalb ich wohl ursprünglich nicht in ihr gesucht hatte. Und so hatten wir uns wieder, mein Brillenputztuch und ich. Ich für meinen Teil jedenfalls war sehr glücklich.


Die Freude währte indes nicht lange. Es war neulich, als wir zu einem Besuch im Kino waren, ich meine kleine Handtasche mithatte (die aus London), und ich - als wir wieder zu Hause waren - feststellen musste, dass das Brillenputztuch nicht mehr drin war. Nur noch die zig-mal geflickte Papp-Hülle, in der es hätte stecken sollen. Wie um Himmels Willen hatte das passieren können? Erneut suchte ich überall. Aber so viele Möglichkeiten gab es diemal nicht. Ich kam zu dem Schluss, dass ich es irgendwo zwischen zu Hause und Kino und zurück unabsichtlich aus der Tasche gezogen haben musste. Und nun war es wahrscheinlich endgültig verschwunden.


Erneut war ich am Boden zerstört. Gerade erst wiedervereint, dann schon wieder getrennt. War das Schicksal? Waren mein Brillenputztuch und ich nicht füreinander bestimmt? Ein Gedanke, der mir eher unwahrscheinlich, vor allem unerträglich vorkam. Aber wie auch immer... nun musste ich mich wohl endgültig mit dem Verlust abfinden.


Und dann kam dieser eine Morgen. Ich ging zur üblichen Zeit aus dem Haus. Es war kalt und regnete. Einer dieser Morgen, der schon vermuten ließ, dass es ein übler Tag werden würde... zumindest was das Wetter betrifft. Mein Auto hatte ich auf einem der Parkplätze auf der gegenüberliegenden Seite der Wohnung geparkt. Eigentlich parke ich lieber auf der Seite wo meine Wohnung ist (aus diversen, jetzt hier aufzuführen unsinnigen Gründen), aber man kann es sich nicht immer aussuchen. Man muss halt nehmen, wo was frei ist. Diesmal war's eben die andere Seite. Auf dem Weg zu meinem geparkten Auto ging ich an zwei anderen Autos auf diesem Stück Parkstreifen vorbei. Und an etwas, was auf dem Boden lag. Ich zögerte kurz, drehte mich wieder um, ging zurück und sah es mir genauer an. Mache ich nicht grundsätzlich, aber irgend etwas hatte mich dazu bewogen. Vielleicht die Größe? Vielleicht die jetzt sehr schmutzig aussehende hellblaue Farbe? Keine Ahnung. Jedenfalls sah ich es kurz an, und glaubte dann meinen Augen nicht zu trauen. Ich hob es auf, und... ja - das war ganz eindeutig und völlig ohne Zweifel mein Brillenputztuch!


Was zum Henker machte es hier? Auf diesem Stück Parkstreifen? Nach all den Tagen seit dem Verlust? Überwältigt von so viel Zufall... beinahe gerührt... nahm ich es an mich und legte es ins trockene Auto. Ich redete beruhigend auf das kleine, völlig durchnässte und sicher frierende Tuch ein, dass alles gut werden würde, dass es später zu Hause erst mal ein schönes warmes Bad in der Waschmaschine nehmen würde... die Dinge, die man seinem Brillenputztuch eben so sagt, wenn man es in desolatem aber zum Glück unverletztem Zustand auf der Straße findet. Und ich konnte mein Glück kaum fassen!


Ich kann quasi spüren, wie Ihr jetzt etwas befremdlich drein schaut. Vielleicht den Kopf schüttelt. Euch fragt, ob mit mir alles in Ordnung ist. Dann frage ich Euch zurück: gab es in Eurem Leben noch nie irgend einen völlig profanen Gegenstand, an dem Euer Herz auf eine Weise hing, die nur Ihr verstanden habt? Aus Gründen die sich nur Euch erschließen? Oder vielleicht gar keinen besonderen Gründen, sondern einfach so? Was dem einen sein Brillenputztuch, mag dem anderen sein... Billig-Feuerzeug, ein ganz bestimmter 08/15 Kugelschreiber oder ein paar Handschuhe aus dem Ausverkauf sein. Irgend etwas, was nicht teuer war, was man ohne Probleme wiederbeschaffen kann, aber was - warum auch immer - eben nicht einfach so zu ersetzen gewesen wäre, weil der materielle Wert völlig unwichtig war?


Sei's wie's drum. Am Abend bekam mein erneut wiedergefundenes Brillenputztuch die versprochene wunderbare 60°C-Wäsche verpasst (keine Sorge, ich habe nicht extra dafür die Waschmaschine laufen lassen... nur falls sich das gerade jemand fragt), und inzwischen ist es sauber und strahlend hellblau wieder zurück in seiner Papp-Hülle. Und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es ein ganz klein wenig glücklich dabei aussieht.


Später kam ich zu dem Ergebnis, dass es mir am Abend des Kinobesuchs genau an diesem Parkstreifen, aus der Tasche gefallen sein musste. Allerdings auf der anderen Seite - der Fahrerseite. Dort ist ein kleines Stück Grünstreifen. Die Beste Freundin von Allen meinte dazu: fast schon ist es, als hätte es sich in den Tagen danach von dem Grünstreifen bis auf die andere Seite geschleppt, direkt vor Deine Füße, damit Du es endlich siehst. Seid ehrlich: ist das nicht eine wunderbare, ergreifende Vorstellung?


Mein Brillenputztuch und ich, wir sind erneut vereint. Und bleiben es hoffentlich bis ans Ende unserer Tage. Wer auch immer es sein mag, der als erster von uns das Zeitliche segnet ;-)



In diesem Sinne, bis demnächst! Heidi xo



© Copyright Heidi Oehlschläger
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